Bajan-Konzert in den Niederlanden. Der Virtuose Volodymyr Kurylenko aus der Ukraine stimmt ungewohnte Klänge an. Die eindringliche, fast unheimliche Erzählkraft seiner Musik packt die Zuhörer und katapultiert sie in eine andere Welt. „Wir hörten einen langen gedämpften Ton, der schließlich von fünf anderen aufgenommen wurde. Wie eine erschrockene Frage, traurig und still. Dieser schnurgerade Ton setzte sich durch das ganze Stück fort, wie der Orgelpunkt in Bachs Musik“, berichtet ein Besucher. „In der kleinen hölzernen Kirche konnte man meinen, ein volles Orgelwerk zu vernehmen.“
Text: Ortrun Wagner Fotos: Archiv Volodymyr Kurylenko, Archiv Michel van der Maesen de Sombreff, Stichting Desna
Das war in Maastricht 2014, nur wenige Wochen nach dem tragischen Absturz der MH 17 auf dem Flug von Amsterdam nach Malaysia, bei dem am 17. Juli im Gebiet von Donezk/Ukraine alle 298 Passagiere, darunter 192 Niederländer, ums Leben kamen. Ihnen widmete Kurylenko das Eröffnungsstück des Konzerts, eine Elegie mit dem Titel Chemin Creusé des Maastrichter Komponisten Math Niel (www.youtube.com/watch?v=PV5986vYjU8). „Für Ihre Kameraden, die über meinem Land starben“, erklärte er, ehe er mit unbeschreiblicher Sensibilität das Unglück melodiös nachempfand, voller Nuancen, faszinierender Dynamik, mit beeindruckenden Crescendi und gedämpften Pianissimi. Im weiteren Programm folgten abwechslungsreich russische, ukrainische und bulgarische Kompositionen, auch eigene Werke und Arrangements des Künstlers. Die Atmosphäre schwankte von gedämpft bis unbeschwert und humorvoll, jedes Stück bot neue Überraschungen. Zum Schluss erklang auf Wunsch des Publikums noch einmal die Elegie.
Inspirierendes Zusammenspiel mit Rauf Berman (Violine) bei Volodymyr Kurylenkos Jubiläumskonzert 20 Jahre in den Niederlanden im Dezember 2015
Botschafter osteuropäischer Klänge
Volodymyr Kurylenko (1973) ist seit einigen Jahren ein bekannter Name in der internationalen Akkordeonszene. Es ist sein Verdienst, dass er dem Publikum im Westen die Musik vorstellt, die speziell für das russische Knopfakkordeon (Bajan) geschrieben wurde: Musik mit Einflüssen aus Folk und Klassik, manchmal aber auch mit mehr oder weniger ausgeprägtem Jazz-, Latin- oder Musette-Charakter; Musik, die immer von der slawischen Seele durchdrungen ist. Kurylenko interpretiert diese Musik mit Gefühl und Virtuosität.
Die Liste seiner Europa-Tourneen umfasst Konzerttermine u. a. in Deutschland, Belgien, der Schweiz, Frankreich und Portugal. Im Ausland spielt er mehr als dreimal so viel wie in seinem Heimatland – in den Niederlanden, wo er sich mit zahlreichen Freunden seiner Musik verbunden weiß, sogar vier- bis fünfmal so oft. Dass dieser ukrainische Bajanist ausgerechnet zweitausend Kilometer von seinem Zuhause entfernt in dem Land der Kanäle, der Tulpenfelder und der Windmühlen so viel Zuspruch erfährt, liegt wohl an seinem Werdegang.
Frühe Entscheidung
Volodymyr Kurylenko wurde am 15. März 1973 in der ukrainischen Kleinstadt Krolevets geboren, wo er heute noch lebt. Wie viele Jungen träumte er davon, später einmal Lokomotivführer zu werden. Doch ein musikalisches Schlüsselerlebnis lenkte ihn auf einen ganz anderen Lebensweg. Er erinnert sich: „Ich war neun Jahre alt, als es in unserem Kulturhaus ein Konzert gab. Auf der Bühne spielte ein Bajanist Lonely Harmonica von Vyacheslav Chernikov. Eigentlich war die Aufführung eines so komplizierten Werkes in unserem kleinen Ort eine aufsehenerregende Angelegenheit, das Stück ist anspruchsvoll und wirklich etwas Besonderes. Doch niemand im Saal nahm groß Notiz davon – nur ich! Es kam mir vor, als wäre diese Musik nur für mich allein gespielt worden, wie ein Fingerzeig Gottes! Auf der Stelle verliebte ich mich in das Bajan.“
„Musik bringt zum Ausdruck, was sich nicht in Worte fassen lässt und doch nicht still bleiben kann.“
Victor Hugo
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